31 Jahre und immer noch kein Radweg von Völkenrode nach Wendeburg
Bereits vor 31 Jahren versprach der damalige Braunschweiger Oberbürgermeister Werner Steffens schriftlich, dass er sich um einen Radweg kümmern wolle. Bis heute hat sich aber nichts getan – die Völkenroder sind radverkehrlich in einer Sackgasse.
Erschienen im ADFC PedaLeo 61, 02-2021
Von Paul Kleinherne und Hans-Georg Sebralla
Der nordwestliche Braunschweiger Stadtteil Völkenrode wurde bis heute beim Radverkehr stiefmütterlich behandelt:
- in Richtung Norden gibt es den Kanal, die Deponie und geschotterte, vereinsamte Landwirtschaftswege durch die Rieselfelder,
- in Richtung Süden gibt es einen 2 Meter hohen Zaun am Thünen-Institut (früher: FAL),
- in Richtung Osten, d. h. nach Watenbüttel, einen nur auf einer Straßenseite liegenden kombinierten Rad/Fußweg,
- in Richtung Westen, d. h. Bortfelder Kreisel / Wendeburg, gibt es weder einen Rad-, noch einen Geh-, noch einen Landwirtschaftsweg. Es gibt ausschließlich die Landesstraße L611, auf der Pkw max. 100 km/h fahren dürfen, die aber keinen Radweg besitzt und deshalb für Fahrradfahrer, insbesondere Kinder und Schüler, höchst problematisch ist.
Vor nunmehr fast vier Jahren wurde deshalb die Bürgerinitiative „Radweg jetzt – Völkenrode“ gegründet, die intensiv an einer Realisierung arbeitet. Unterstützt wird sie hierbei von den Braunschweiger Radverkehrs und Mobilitätsverbänden (ADFC, braunschweiger forum, MoVeBS, VCD und Initiative Fahrradstadt). Der Plan zeigt den beantragten Radweg entlang der L611 (rote Linie).
Der Radweg an der L611 ist u. a. erforderlich für Verwandtschafts- und Freundesbesuche, zum Einkauf, zum Fahren ins Schwimmbad, für Radtouristen, aber insbesondere für Schüler aus Völkenrode/Watenbüttel, die die Aueschule in Wendeburg besuchen und für die nachmittags nur eine unzumutbare Busverbindung besteht. Deshalb fahren die Schüler, wenn es witterungsbedingt möglich ist, über die Landwirtschaftswege durch die Rieselfelder. Diese werden jedoch regelmäßig geschottert und sind dann wochenlang unbefahrbar. Zudem ist die soziale Sicherheit in dem einsamen Gebiet nicht gewährleistet.
Zu teuer?
Mehrfach wurde in letzter Zeit über die Medien berichtet, dass in Braunschweig ein Bau von Radschnellwegen geplant ist. Dabei handelt es sich um ca. 4 m breite asphaltierte Radwege mit Beleuchtung, Winterdienst, hochtechnisierter Ausrüstung und voraussichtlich auch E-Bike-Ladestationen. Geplant sind Verbindungen nach Wolfenbüttel, Salzgitter Thiede und eine ca. 30 km lange Strecke bis nach Wolfsburg. Im Rat der Stadt Braunschweig wurde am 26. September 2017 für vier Strecken ein Gesamtetat in Höhe von 37,3 Mio € bewilligt.
Überrascht durch so hohe Kosten haben wir uns gefragt: Warum geht es eigentlich mit unserem Radweg von Völkenrode zum Bortfelder Kreisel nicht weiter, der ja eigentlich viel, viel kostengünstiger ist und von uns auf ca. 1 Mio € geschätzt wird? An der L475 zwischen Wendeburg und Bortfeld gibt es bereits eine gute Radwegverbindung, aber der Lückenschluss nach Braunschweig fehlt, obwohl am Bortfelder Kreisel der Anschluss schon vorbereitet ist. Dabei handelt es sich um eine Strecke von nur ca. 2,3 km Länge an einer Landesstraße, die trotz schmaler Fahrbahn weder Fuß- noch Radweg besitzt. Aktuell wird diese Straße von Radfahrern gemieden, denn Lkw, Pkw und Motorräder fahren hier mit Geschwindigkeiten bis zu 100 km/h – eine höchst gefährliche Angelegenheit für Fahrradfahrer. Die Straße ist für Familien mit Kindern absolut ungeeignet. Und im Juli 2018 hat die Straße einen neuen Fahrbahnbelag erhalten. Nun fahren viele Autos noch schneller.
Ein großer Wunsch seit 1990
Wir haben ermittelt, dass bereits im Jahr 1990 ein damals kleines Mädchen namens Nina den OB von Braunschweig angeschrieben und darum gebeten hat, einen Fahrradweg zu bauen, damit es mit dem Fahrrad seine Großeltern in Bortfeld besuchen und zum Schwimmen nach Wendeburg fahren kann. Der damalige OB Werner Steffens hatte Verständnis für diesen Wunsch, schenkte der kleinen Nina einen Braunschweiger Löwen als Dankeschön für ihren Einsatz und versprach, sich darum zu kümmern. Offensichtlich hat er sich aber nicht genug gekümmert, denn einen Radweg gibt es bis heute noch nicht.
Im Jahr 1998 wurde von Prof. Dr. Wermuth, WVI Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH, Braunschweig, in einem Verkehrsentwicklungsplan für die Stadt Braunschweig eine Radwegverbindung nach Bortfeld mit der Priorität 1a bewertet. Auch im Radverkehrskonzept des Zweckverbandes Großraum Braunschweig (jetzt Regionalverband Braunschweig) aus dem Jahr 2005 wurde dieser Fahrradweg als notwendiger Lückenschluss bewertet. In diesem Konzept findet man sogar den Hinweis, dass angeblich die Stadt Braunschweig bereits schon 2004/2005 einen Bauantrag gestellt hätte.
In Verkehrsmengenzählungen im Jahr 2009 betrug die Zählung 4400 Kfz/24 h und lag damit weit über Verkehrsmengen, aufgrund derer an anderen Straßen Radwege gebaut wurden. Zudem wird in letzter Zeit immer häufiger die L611 als Umgehungsstrecke benutzt, wenn auf der A2 oder der B214 Sperrungen vorliegen.
Doch alle vorgenannten Institutionen können nur Empfehlungen aussprechen. Maßgebend für den Bau dieses Radweges ist der Baulastträger und das ist bei einer Landesstraße das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Hannover, welches ein „Radwegekonzept 2016 für Landesstraßen“ aufgestellt hat. Leider erscheint in diesem Konzept die Straße bzw. der Radweg an der L611 nur in der Bewertung „im weiteren Bedarf“. Angeblich wegen „nicht ausreichend hoher Priorität“. Diese Einstufung hat in Abstimmung mit der Stadt Braunschweig stattgefunden.
Neuer Anlauf 2018
Am Mittwoch, den 17. Januar 2018, fand in Watenbüttel der seit nunmehr zehn Jahren bestehende „Runde Tisch“ statt, initiiert durch die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde VölkenrodeWatenbüttel. Anlässlich dieser Gesprächsrunde wurde dem Bezirksbürgermeister Frank Graffstedt ein offizieller, schriftlicher Antrag zum Bau des Radwegs überreicht. Der Antrag bestand aus ins gesamt 26 Seiten, einem Deckblatt, einer 5seitigen Begründung und aus insgesamt 11 Anhängen, in denen alle Recherchen dokumentiert waren, u. a. auch eine Stellungnahme des Ministeriums in Hannover wie auch eine der Gemeinde Wendeburg. Übergeben wurde auch eine Sammlung mit 450 Unterschriften von Bürgern, die den Radwegantrag unterstützen. Herr Graffstedt nahm beides wohlwollend entgegen und versprach seine volle Unterstützung.
Am 7. Februar 2018 wurde der Antrag dann im Stadtbezirksrat 321 besprochen und einstimmig folgender Beschluss gefasst: „Die Verwaltung wird aufgefordert zu überprüfen, ob, wann und wie sie gemeinsam mit dem Landkreis Peine, Kommune Wendeburg den Radwegelückenschluss zwischen Völkenrode und Bortfeld entlang der L 611/L 475 a gemeinsam mit dem Land realisieren kann. Die Verwaltung wird weiterhin um rechtzeitige Mitteilung gebeten, inwieweit und in welcher Höhe die dafür seitens der Kommune erforderlichen Haushaltsmittel beim Haushaltsplanentwurf 2019 eingestellt werden müssen.“
Nunmehr lag es also an der Stadt Braunschweig, diesbezügliche Gespräche und Verhandlungen einzuleiten und durchzuführen, um im September über eine Ratsvorlage Haushaltsmittel für 2019 anmelden zu können. Die Antwort der Verwaltung vom 19. Sept. 2018 lautete jedoch: „… Die Stadt Braunschweig hat eigene Aufgaben und Prioritäten. Daher ist nicht vorgesehen, einen Radweg entlang der L611 selbst und ohne das Land Niedersachsen zu bauen …“
Die Gemeinde Wendeburg dagegen erscheint da offener und bürgerfreundlicher und hat sich dahingehend geäußert, dass sie diesen Radweg so schnell es nur geht haben möchte, wartet aber auf den ersten Schritt der Stadt Braunschweig.
Bürger demonstrieren
Um die Unterstützung der Bürger nach außen hin deutlich zu machen, wurden im August 2018 und August 2019 Fahrraddemonstrationen durchgeführt, die von Völkenrode zum Bortfelder Kreisel gefahren wurden und an denen sich ca. 230 Bürger beteiligt haben.
Mit dem Fahrradkorso wollten die Autoren dieses Artikels den Politikern und der Verwaltung nochmals beweisen, wie wichtig den Völkenroder und Wendeburger Bürgern dieser Fahrradweg ist. Deshalb lautete das Motto: „Radweg jetzt!“ Damit der Fahrradweg-Antrag nicht in Vergessenheit gerät, haben wir ein T-Shirt drucken lassen mit dem Aufdruck: Völkenrode – Bortfeld Radweg jetzt!, welches wir vor dem Fahrradkorso an Helfer, Verantwortliche und andere Interessierte überreicht haben.
Zwischenzeitlich und über Jahre hinweg haben wir mit vielen Institutionen, Politikern, Sachbearbeitern und Vereinen Kontakt aufgenommen und etliche Mails verschickt bzw. Gespräche geführt, u. a. mit Landtagsabgeordneten, mit den Radbeauftragten der Stadt Braunschweig, mit der Gemeinde Wendeburg und deren Ortsbürgermeister, mit dem Landesstraßenbauamt in Wolfenbüttel und anderen mehr. Sehr enger Kontakt wurde auch nach Wendeburg aufgebaut und es besteht eine gute Zusammenarbeit mit dortigen Politikern wie auch mit dem Arbeitskreis „fahrRad“.
Geld im Landesprogramm, aber kein Plan
In dieser Historie kann wegen der Vielzahl der Aktivitäten nicht auf jede einzelne eingegangen werden, eine Besonderheit sei hier aber noch erwähnt: Anfang 2021 hat das Land Niedersachsen verkündet, ein Sonderprogramm in Höhe von 65 Mio. € bereitzustellen für den Aus bau von Radverkehrsinfrastrukur. Daraufhin gab es in Braunschweig am 16. Febr. 2021 eine Ratssitzung mit dem Ratsbeschluss 2115140 „Nutzung des Landesprogramms für beschleunigten Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur“. In diesem Beschluss wurde u. a. vom Rat der Stadt Braunschweig vorgeschlagen, den Radweg an der Landesstraße L611 von Völkenrode zum Bortfelder Kreisel für das Landesprogramm anzumelden. Die Braunschweiger Zeitung schrieb am nächsten Tag: „Völkenrode jubelt – Radweg soll gebaut werden.“
Aber er wird (vorerst) nicht gebaut! Die Verwaltung der Stadt Braunschweig entschied anders. Wie sich bei Bekanntwerden der Förderrichtlinie herausgestellt hätte, sei der Radweg aus Zeitgründen wegen fehlender Planungsvorbereitung nicht realisierbar, da die angemeldeten Projekte bis Ende 2023 hätten fertiggestellt sein müssen.
In diesem Zusammenhang erlauben wir uns den Hinweis, dass unsere Initiative mehrfach schon Planungsgelder angemeldet hatte. Auch der ADFC hatte in seiner Haushaltsanmeldung für 2020 sowie für 2021 Gelder für Maßnahmen der Vorplanung angemeldet. Bisher hat die Politik und die Verwaltung jedoch alles abgelehnt. So dreht man sich im Kreis:
Keine Vorplanung, wenn die Finanzierung nicht sichergestellt ist; keine Finanzierung, wenn die Vorplanung fehlt.
Hat ein Hauptmann in Köpenick mit seinem Pass nicht etwa Gleiches erlebt?
Was bleibt zu tun? Worauf kann man hoffen?
- Der Braunschweiger Rat sollte die Verwaltung beauftragen, für den Radweg an der L611 Planungsrecht herzustellen, damit im Falle einer erneuten Landesförderung ein kurzfristiger Bau möglich wird.
- Die Stadt Braunschweig sollte diesen Radweg beim Land als „vordringlich“ anmelden, damit er zumindest gemäß Landesradwegeplan baldigst berücksichtigt wird.
- Der neue Braunschweiger Oberbürgermeister sollte das Versprechen eines seiner Vor-Vorgänger, das von Herrn Werner Steffens, endlich einlösen.